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Zu Besuch: Villa „Le Lac” Le Corbusier (1923)

Unter der Rubrik „zu Besuch“ zeigen wir Projekte, welche in der Architektur prägend waren oder sind. Le Corbusier baute für seine Eltern 1923 ein Haus direkt am Genfersee. Mit gerade mal 64 m2 Gebäudegrundfläche könnte man auch von einem 100-jährigen Tiny-Haus sprechen.

Villa „Le Lac” Le Corbusier (1923)

Die Villa „Le Lac” Le Corbusier (1923) ist das Ergebnis ergonomischer Forschung und zweckbestimmter Analyse, was 1923 sehr aussergewöhnIich war, denn das Ziel war die Erstellung eines typologischen Standards:  das schmale Einfeldhaus. Die Villa „Le Lac“ ist der Prototyp eines kleinen Hauses mit einem Maximum an Komfort und Raum und gibt die Gedanken und Ideen wieder, die im 20. Jahrhundert einen grossen Einfluss auf grundlegende Fragen rund um den minimalen Lebensraum und den Lebensraum für die grösstmögliche Anzahl von Menschen haben.

Dieser bescheidene, 64 m 2 grosse Bau, vereint bereits drei der künftigen „fünf Punkte einer neuen Architektur“: den freien Grundriss, den Dachgarten und das Langfenster — eines der ersten in der Geschichte der Architektur.  Das 11 m lange Fenster ist eine echte technische Innovation und zeugt von der Neugestaltung des Landschaftsrahmens und dem Bezug zum Standort.

Die Villa „Le Lac“, die Le Corbusier für seine Eltern gebaut hat, verkörpert beispielhaft die Grundzüge von Le Corbusiers Frühwerk, die für den Erfolg seiner ab den 1920er Jahren gebauten Villen sorgten: die Suche nach dem menschlichen Maßstab, die Proportionen, die freie Grundrissgestaltung dank der Stahlbetonstruktur, die Ausrichtung des Baus, das horizontal ausgerichtete Langfenster, das von aussen zugängliche begrünte Flachdach, das Streben nach der minimalenWohnform.

Innenraum — Der langgezogene Bau (16 x 4 m) bietet passende Räumlichkeiten für alle täglichen Aktivitäten eines älteren Paares ohne Dienstboten (Körperhygiene, Wäsche, Zubereitung der Mahlzeiten, Aufräumen, usw.). Das vollständig gegen Süden ausgerichtete elf Meter breite Langfenster sorgt für einen optimalen Einfall des Sonnenlichts in die meistgenutzten Räume und gewährt eine wunderbare Aussicht auf den See, das Rhonetal und die Alpenkette. Der kleine Salon, ein modulierbarer Raum im Ostteil des Hauses, lässt sich durch eine mobile Trennwand und Schrankbetten in ein Gästezimmer umwandeln. Im Schlafzimmer befindet sich der Sekretär, den Le Corbusier in seinen Jugendjahren entworfen hatte, und der Sessel mit der verstellbaren Rückenlehne, den Frau Jeanneret vom waadtländischen Staatsrat zum 99. Geburtstag geschenkt erhielt. Die Tongefässe im kleinen Salon sind Erinnerungsstücke, die Le Corbusier von seiner Orient-Reise 1911 mitgebracht hatte.

Aussenraum — Die Gestaltung der Umgebung ist Teil des architektonischen Werks. Zehn Meter lange, hohe Mauern schliessen den kleinen Garten seitlich ab, um die Sicht nach draussen zu beschränken. So wird der Garten zu einem „grünen Saal“, einem Innenraum. Eine rechteckige Öffnung in der Südmauer, mit den Massen einer Langfenster-Einheit, rahmt die so zum Bild gewordene Aussicht ein und hebt sie somit hervor; ein kleiner Tisch und zwei Bänke runden die Einladung zur Betrachtung dieses Landschaftsbildes ab. Eine Stützmauer zwischen See und Südfassade des Hausesermöglichte den Bau einer vier Meter breiten Terrasse. Das Haus in seiner heutigen Form ist den ursprünglichen Plänen sehr treu geblieben. Im Nordwesten wird 1931 oben ein zusätzliches Zimmer — la Fruitiére — angebaut. Im selben Jahr wird die Nordfassade mit verzinktem Stahlblech und 1951 die Südfront mit AIuminiumblech verkleidet.

Die Mauer im Norden des Hauses war in den Original-Bauplänen ebenfalls nicht vorgesehen; sie wird 1931 errichtet, nachdem der Uferweg durch die  neue  internationale Strasse  ersetzt  wurde. Le Corbusiers Eltern beziehen die Villa 1924. Der Vater, Georges-Edouard Jeanneret, stirbt nach einem Jahr. Die Mutter, Marie Charlotte Amélie Jeanneret-Perret, Iebt hier hingegen bis zu ihrem Tod 1960 im 100. Altersjahr. Albert Jeanneret, Le Corbusiers Bruder, verlässt 1939 Paris und lebt von 1939 bis 1973 in der Villa.

Restauration — Im Rahmen der Restaurierung der Villa „Le Lac“ wurden innen im Haus und aussen von einem Restaurator für Wandmalereien zahIreiche Stichproben entnommen und zwar mechanisch oder chemisch. Ziel ist die Untersuchung der Farbaufträge, um deren stratigrafische

Abfolge festzustellen. Die Nummerierung erfolgt auf der Grund lage der letzten Schicht bis zum Untergrund. Diese Abfolge weist eine Reihe von Schichten auf:  den Untergrund (Gips, Holz, Metall, usw.), die Grundierung und die verschiedenen Farbschichten. Nach einer historischen Studie (Archive, Briefwechsel aus jener Zeit, Bilddokumente, usw.) kann man versuchen, die Phasen auszumachen, die den verschiedenen, im Laufe der Zeit vorgenommenen Eingriffen entsprechen. Die qualitativen Analysen im Labor ermöglichen die genauere Bestimmung der Art der Farbschichten (Bindemittel, Pigmente).

Quelle: Fondation Le Corbusier